Peerdkarren und Öwerrührschen

Helmut Rinke

Peerdkarren

„Hast du denn früher immer Pferde gehabt“, wollte ich von meinem Großvater wissen.
„Sicher“, erwiderte er, „Pferde hatte ich immer. Die brauchte ich für meinen Karren. Das letzte war der Max. Der ist achtzehn Jahre alt geworden. Son’n Wagen mit Moddor wollt eck nich hebben. Een Peerd hett okk min vadda alltiet hat un min Grootvadda ook.“
„Was haben sie denn mit den Pferden gemacht?“
Großvater erzählte: „In den Siepen, in Stüter, wo meine Familie herkommt, gab es viele kleine Pütts. Davon haben die Menschen dort gelebt. Mit dem Karren hat min Grootvadda die Kohlen aus den Siepen über die Berge nach Barmen und Elberfeld gebracht.“
„Hast Du denn auch Kohlen gefahren wie dein Opa und die anderen?“, fasste ich nach.
„Nee, hew eck nich. Kiek mal, min Jong. Als ich son’n Buschen war wie du, da gab’s doch schon ´ne Eisenbahn. Die is schon vor über 100 Jahr’n nach Witten gekommen. Da kunnt se für de Kohle keene Peerdkarren nich mehr bruken. Ich bin in Bommern Bergmann geworden wie min Vadda.“

Die Öwerrührschen

Opa gehörte vor mehr als 100 Jahren zu den ersten Arbeitsmigranten, die der Bergbau zwischen Ruhr und Lippe angezogen hat. Er nannte sich und die anderen Zuzügler, die aus den Siepen im Süden der Ruhr kamen, plattdeutsch die „Öwerrührschen“, „Die-von-jenseits-der-Ruhr-Gekommenen“, so etwas wie die „Hinterwäldler“. Von der Entfernung her war es ein kurzer Weg über den Fluss nach Norden, aber es war auch ein weiter Weg. Sie kamen aus den abgeschiedenen, engen Siepen in die offene Landschaft auf beiden Seiten des Hellwegs, die man erst später das Ruhrgebiet nannte. Das war für sie eine andere Welt.

beide Texte aus:
Hau rein! Erinnerungen an Arbeit, Alltag und Leben im Ruhrgebiet
herausgegeben vom Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher
Essen 2018
ISBN: 978-3-8375-1994-5

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